MS und Leukämie - aber ich lache immer noch …
Wie alles begann:


Mit 17 stellte ich plötzlich fest, dass ich mit den Augen Probleme hatte.
Wenn ich ein Buch las, konnte ich den rechten Rand nicht mehr erkennen mein erster Weg führte mich zu einem Augenarzt.
Dieser schickte mich dann in die Augenklinik nach Tübingen, wo meine Odyssee (insgesamt 6 Monate) begann.
Nach diversen Untersuchungen und etlichen Wochen, inzwischen fuhr ich jede Woche ein bis zwei mal zur Untersuchungen in die Neurologische Uniklinik Tübingen,
diagnostizierten mir die Ärzte eine "Nervenentzündung" und ich sollte mich doch. Punktieren lassen (zum damaligen Zeitpunkt 1980 eine Horrorvorstellung wegen der dicken Nadeln).
Auf meine Frage, ob man mir dann helfen könnte, bekam ich die Antwort: " Nein, aber dann wüsste man es genauer ". Darauf meinte ich, dass ich es so genau nicht wissen müsste, wenn man mir eh' nicht helfen kann.
Der behandelnde Arzt meinte, dass ich dann auch nicht mehr kommen bräuchte - Tübingen sah mich nie wieder! Zumindest nicht die Neurologie.
Ich wurde entlassen und war der Meinung, dass ich eine "Nervenentzündung" habe. Wie ich später erfuhr, wurde meine Eltern die wahrscheinliche Diagnose MS genannt.
Meiner Mutters Ärztin meinte, dass man mir das nicht sagen dürfte, den dann könnte der Verlauf aggressiver und schneller werden.
Da einer der Ärzte zu mir sagte, dass rein statistisch ein "Nervenentzündung" nach sieben Jahren wieder weg geht (ha ha - dann erledigt sich nur die Punktion, da die Diagnostik dann über die Symptome geht), verbrachte ich die nächsten sieben Jahre in der irrigen Meinung eine "Nervenentzündung" zu haben.
Zwischendurch verbrachte ich mal 2 Wochen in der Augenklinik. Ich konnte nur noch Schatten sehen, das bekamen sie mit Cortison wieder hin. Mein Sehnerv bekam dabei und bei allen weiteren Sehnerv Entzündungen schon was ab. Ich sehe nicht mehr so gut, zum teil etwas löchrig - aber man gewöhnt sich daran.
Mir ging es eigentlich gut, ich hatte zwar Schübe sowie Gefühlsstörungen an Armen und Beinen, aber die Symptome gingen unter Cortison immer wieder zurück. Ich machte mir keine Sorgen, da ich ja nur eine "Nervenentzündung" hatte. Jedes mal wenn ich einen Artikel über MS las, dachte ich mir nur - die Armen, denen geht es wie mir, bloß bei mir geht es ja wieder weg- ganz schön naiv. Aber warum sollte mich auch jemand anlügen ???
Meine Wegstrecke wurde immer kürzer, da ich fünf Jahre später an einer linksseitig betonte Spastischen Parese litt. Weiter vier Jahre später verschlimmerte es sich chronisch und langsam machte sich auch Rechts eine Verschlechterung bemerkbar.
Ich brachte mein Studium hinter mich. Natürlich mit viel Träne wegen der Diversen Ausfälle, z.B. konnte ich zeitweise, meistens vor den Prüfungen nicht mehr schreiben. Knöpfe waren auch nicht mehr meine Freunde. Zigaretten drehen konnte ich auch zeitweise vergessen, so gab es manche Einschränkungen, die ich im Einzelnen gar nicht alle aufzählen möchte.
Was sich aber ganz deutlich zeigte, war der Zusammenhang zwischen seelischen Gleichgewicht und dem körperlichem Wohlbefinden. Ging es mir seelisch gut, ging es mir auch Körperlich gut. Psychische Probleme oder Belastungen spiegeln sich sofort in körperlichen Symptomen wieder.
Ich suchte mir also einen Job, natürlich ohne auf meine drohende Behinderung zu achten. Mir war der Ernst der Lage ja gar nicht bewusst. Und so nahm ich eine sehr "lauf intensive" Stellung an, in derselben Firma, in der ich schon während des Studiums in den Ferien gearbeitet habe.
Meine Aufgabe bestand zum Beispiel darin, im Websaal (82 Maschinen) die Qualität zu überwachen und gegebenenfalls einzuschreiten.
Die Wege waren ziemlich weit. Nach dem ich immer mehr Schwierigkeiten beim Gehen bekam, rationalisiert ich meinen Job weitgehenst weg, in dem ich mir Personal heran zog, die gewisse Aufgaben erledigten. Alles was mit Laufe zu tun hatte. Folglich saß ich meistens nur noch im Büro und arbeitete am Computer.
Zwei Jahre lang ging das so. Dann beschloss mein Arzt sich über die Anweisungen meiner Mutter (nicht sagen was sie hat) hinweg zu setzen und mir die reinen Wein einzuschenken.
Ich war 26 Jahre alt.
Er lud mich zu einem Gespräch. Meine Mutter bot mir an, mich hin zu fahren was mich wunderte und ich fragte sie, ob ich nicht mehr selber fahren könnten, daraufhin faselte sie etwas von jedes Kind hat seinen Namen und so.
Als ich meiner älteren Schwester davon erzählte, meinte sie, dass der Arzt mir den Namen meiner Krankheit sagen möchte (alle wussten also Bescheid).
Ich sagte dann zu ihr, dass es ja wohl egal sei ob es Nervenentzündung oder Multiple Sklerose heißt ...
Daraufhin wurde sie ganz Weiß und ihr Kinn klappte nach unten und ich wusste Bescheid!
Mir wurde ganz anders. Plötzlich hatte ich nicht mehr nur eine relativ harmlose Krankheit sondern eine Unheilbare!
Da ich ja hart im Nehmen bin wollte ich mir nichts anmerken lassen und reagierte ganz locker und fuhr im Gespräch fort. Aber ich war schon ganz schön geschockt ... Wieso mir? Und wie geht es jetzt weiter? Aber ich bin ja ein ‚hoffnungsloser Optimist' also keine Panik - Augen zu und durch.
Bin ich so wirklich oder tue ich nur so? - Was mich wieder auf die Schiene bringen, das Problem psychologisch zu betrachten.
Jetzt begann erst mal die Zeit des nicht Hinnehmens, dagegen muss doch was zu machen sein.
Ich probierte alle Möglichkeiten aus: Über Diäten, Wunder Heiler, Nachtkerzenöl, Linolsäure, Ungesätigte Fettsäuren, Psychologische Hinterfragung, eben alles was mir so unter kam.
Ein halbes Jahr ca. half mir meist alles (das war nur die pure Euphorie) bis dann die Ernüchterung kam.
Wirklich gut ging es mir in der Zeit, in der ich Immunglobuline bekam. Ein Jahr lang, bis die Krankenkasse meinte das wäre keine zugelassene Therapie und die Behandlung strich.
Ich legte natürlich Widerspruch ein, der aber auch nichts brachte. Heute versuche ich immer noch Immunglobuline zu bekommen aber es ist immer noch nicht zu gelassen (Studien laufen aber schon).
Zu dieser Zeit dachte ich im Rollstuhl zu landen wäre das Schlimmste was passieren könnte. Weit gefehlt, heute weiß ich dass es noch viel schlimmere Dinge gibt. Nur nicht laufen zu können gehört heute für mich zu den weniger dramatischen Dingen. Das kann man prima mit einem Rollstuhl ausgleichen!
Was aber tun, wenn die Hand nicht mehr will ...?

Da ich jetzt davon ausgehen musste, dass das Laufen nicht mehr besser wird, gab ich die Diagnose an meinem Chef weiter. Er kam dann auf die Idee mich intern zur Programmiererin umzuschulen.
Während des Studiums hoffte ich, niemals in meinem Leben wieder etwas mit Computer und mit Programmierung zu tun zu haben.
Wie sich später herausstellte, war mein Angst und Ablehnung ganz unbegründet, ich habe mich nach und nach mit dem Computer arrangiert und heute ist er ein guter Freund.
Mit 29, bei einem der zahlreichen stationären Aufenthalten in einer MS - Klinik unterzog ich mich doch der Punktion um eine bolerien Infektion auszuschließen, dabei bestätigte sich der Befund Encephalitis disseminate oder Multiple Sklerose endgültig.
Zu dieser Zeit lief ich noch kurze Strecken, vorzugsweise an der Wand entlang (für längere Strecken setzte ich mich in den Rollstuhl).
Dann mit 30 bekam ich eine Bein-becken-venentrombose, die mich erst mal ein halbes Jahr lang an das Haus fesselte.
In diesem ½ Jahr stellt die ich fest, wie sehr mich doch der Stress in Geschäft beeinflusste. Seit ich daheim war, lief alles ganz glimpflich ab. Z.B. die Blasen Entzündungen, die vorher richtig heftig mit Blut im Urin usw. einher gingen, verliefen plötzlich ganz harmlos mit einem leichten ziehen oder brennen. Darum beschloss ich jetzt Rente einzureichen.
Mit 31 Jahren war ich nun also Rentnerin! Mir ging es ganz gut, ich bezeichnete mich immer als ‚Luxus Krüppel' den ich konnte kurze Strecken laufen, kam auch noch einige Stockwerke die Treppe hoch. Autofahren ging auch noch, zuerst mit Automatik, später mit Handgas/Bremse.
Mit 34 Jahren saß ich dann ganz im Rollstuhl.
Meine rechte Hand/Arm wurde immer schlechter, was mich jetzt zum Handeln zwang.
Nun musste ich schwere Geschütze auffahren. Ich hatte immer panische Angst immunsuppressive Medikamente zu nehmen. Da wird ja mit Kanonen auf Spatzen geschossen und nebenbei das Immunsystem platt gemacht.
Also nahm ich Betaferon - wurde als Immun modulierend verkauft.
Und gerade erst für den chronisch progredienten Verlauf zugelassen. Mir ging es echt schlecht - im 2 Tages Rhythmus (immer nach der Injektion) und überhaupt. Ich war ja so was von depressiv, das kannte ich bei mir nicht. Man versicherte mir es wäre ein Langzeit Medikament und vor einem Jahr könnte man nicht sagen ob es wirkt.
Da ich inzwischen gemerkt habe, dass es auch immunsuppressive ist sah ich darin keinen Sinn mehr.
Nach 9 Monaten gab ich auf. Meine rechte Hand/Arm irgendwie auch. Das war mir aber zu wichtig, denn dafür gibt es keinen Rollstuhl.
Also begann ich eine Mitoxantron . Es war noch nicht zugelassen aber es wurde schon Jahrelang in Dietenbron (Außenstelle der Ulmer Uniklinik) als ‚klinischer Versuch' verabreicht.
Alle drei Monate ambulant eine Infusion. Der Arzt der das ‚Mito' in die Infusion einspritzte kam immer mit einem dicken Gummihandschuh, der über den Ellenbogen reichte. Kein Wunder, das war hoch toxisch und ist ein Wirkstoff der aus der Chemotherapie kommt.
Aber was soll ich sagen, mein Status blieb, es verschlechterte sich nichts mehr - mir ging es gut. Hätte es nur vorher jemand geschafft sich meiner Ängste anzunehmen und mich zu überzeugen. Ich ging nämlich schon einige Jahre nach Dietenbron. Zum ersten mal wurde mir das Medikament vorgeschlagen da war ich wohl 33 Jahre.
Aber nach dem ich den Zettel gelesen habe mit den möglichen Nebenwirkungen, den ich dann auch unterschreiben müsste wurde mir Angst und Bange, so schlecht ging es mir schließlich nicht.
Lange Rede, kurzer Sinn ich vertrug es gut. War zufrieden,
kam gut zurecht, lernte die diversen Einschränkungen irgendwie zu kompensieren und konnte Tagsüber alleine Zuhause sein und den Haushalt schmeißen.
Dass die Haare dünner oder weniger wurden konnte ja schließlich auch am Alter liegen und was für ein geringer Preis wäre das schon.
Die Leukämie, die ich mit 39 Jahren bekam muss nicht davon gekommen sein. Andere Leute bekommen Leukämie ohne vorher Immunsuppressiva genommen zu haben …


Mein Fazit:
Positive Lebenseinstellung, wenig Stress, immer machen was geht, ruhig sich mal ein bisschen Anstrengen, aktiv bleiben. Handel statt sich behandeln zu lassen.
Krankengymnastik als wichtigste Maßnahme, sowie Ergotherapie bei Bedarf (ich hab tolle Erfolge mit Perfetti).
Am Anfang solange es noch Schubförmig ist ruhig die Therapien machen die aus Inteveron entwickelt wurden.
Und später beim chronischen Verlauf Mitoxantron. Trau Dich, sei nicht so'n ‚Schisser' wie ich es war.

Heute hat die MS etwas an ihrem Schrecken verloren

 

Es sind nun doch wieder einige Jahre ins Land gegangen. Ich bin jetzt 47 Jahre alt und es geht mir echt gut.
Mein linkes Bein war ja schon gut 15 Jahre Tod. Machte kein Muckser mehr. Und außer Kontrakthurprophylaxe wurde auch nichts weiter gemacht. Irgendwann merkte ich, das ich wieder was bewegen konnte. So konnte ich einige Zeit später mit den Zehen winken. Inzwischen geht der Fußheber auch wieder und ich kann gezielt Muskeln im Oberschenkel ansprechen um z.B. eine Rotation desselben einzuleiten. Rechts fühlt sich das ganz ähnlich an, wie vor 5 Jahren links.

Fazit: Tod muss nicht immer Tod bleiben.


Nach der Leukämie konnte ich mit meiner rechten Hand/Arm nichts mehr anfangen. Mein Krankengymnast hat speziell was für die Hand mit mir gemacht und sie soweit gebracht, dass ich mich damit heben konnte. Dadurch konnte ich die Krankenkasse überzeugen 4x Kg / Woche zu bekommen.
Schließlich hatte ich keine Ergo (bis dato hielt ich nicht viel von den ‚Spieletanten'). Das ging eine ganze Weile gut, bis die Kasse einen neuen Mitarbeiter bekam, der meinte etwas einsparen zu können und das 4te mal Kg wurde gestrichen. Rechtlich sind ja nur 3x vorgesehen. Also dachte ich mir dann nehme ich mir die teurere Ergotherapie, die mir ja 1x / Wo zusteht. Das wollte ich ein Rezept lang durchziehen und dann der Kasse vorschlagen wieder die billigere Kg stattdessen zu nehmen.
Aber es kam ganz anders: Ich suchte mir aus den geben Seiten eine Therapeutin aus der Mitte heraus und habe glücklicherweise die ‚Beste' gefunden. Keine Spieletante, sondern eine Therapeutin mit riesigem Bauchladen. Damit meine ich, dass Sie vielseitig ausgebildet ist und egal, was sie gerade brauch, kann sie aus ihrem reichen Fundus schöpfen, ob Bobath, manuelle Therapie, Perfetti oder Anderes. Hier lernte ich Perfetti kennen.
Ich sollte eine Übung mit der Hand machen, die ich nicht konnte. Dann gab sie mir ein Stück Holz in die Hand. Ich hatte die Augen die ganze Zeit geschlossen und sie bewegte es in meiner Hand. Meine Aufgabe bestand darin herauszufinden, wie breit, wie hoch, wie lang und welche Form das Stück hatte. Rein Kognitiv.
Was soll ich sagen, obwohl ich nur ‚gefühlt' und nichts selber bewegt habe, konnte ich die Übung an der ich Eingangs gescheitert war jetzt machen. Für mich ist das wie: Von hinten durch die Brust ins Auge…, einfach Phantastisch.
So sind schon einige vermeintlich vergessene Funktionen jetzt wieder abrufbar. Wie bei Dornröschen einfach wach geküsst! Zu Beginn der Arbeit mit der Therapeutin fragte sie mich nach einem Ziel. Ich sagte ihr, dass ich gerne wieder den Menschen die Hand zur Begrüßung geben würde.
Über dieses Ziel bin ich lange schon hinaus und konnte die Kasse sogar überzeugen 2x / Woche eine Ergotherapieeinheit (40 min statt 20 min wie bei der Kg ;o) ) zu bekommen.
Was die MS betrifft bin ich ‚austherapiert', das heißt ich darf nichts mehr nehmen weil ich überall schon am Grenzwert der vertretbaren Menge bin. Ähnlich wie Obelix der auch keinen Zaubertrank mehr bekommt… D.h. außer Cortison im Akutfall, das geht immer noch.


Das ganze Gift, das ich in mir hatte ist anscheinend abgebaut und ich bin wohl clean. Ich hab wieder Kraft, kann mich hoch stützen und kam letztens sogar in das Auto meiner Freundin. Der Beifahrersitz ist bestimmt 60 cm höher als der Rollstuhl und ich schaffe das ganz locker.
Meinem Mann sagte ich vor längerem schon, dass ich ihn jetzt nur noch zu meinem persönlichen Vergnügen bräuchte. Da schaute er zunächst etwas komisch. Aber als ich dann erklärte, dass ich jetzt wieder eindeutig sagen kann, dass ich ihn brauche, weil ich ihn liebe und ihn nicht liebe, da ich ihn brauche war er beruhigt. Diese Grenze verwischt einfach wenn man so lange abhängig ist. Jetzt bin ich zu Hause wieder gänzlich autark. Und das ist ein wundervolles Gefühl Herr seiner selbst zu sein.
Mein nächster Coup wird ein Balance Stehtrainer sein durch den dynamisches Stehen möglich ist. Im Gegensatz zu dem bisherigen Stehstuhl. Das Genehmigungsverfahren läuft schon.


Macht es gut und immer schön den Kopf hoch.