Leukämie
"Jetzt haben sie zu den Läusen halt auch noch Flöhe" Zitat eines Hämologiearztes

All die Jahre dachte ich: Um Krebs muß ich mir keine Sorgen machen - das bekomme ich nicht auch noch - die MS ist schon genug...

Weit gefehlt kaum war ich 39 Jahre alt, bekam ich furchtbar viele blaue Flecken. Mein Mann meinte das sei nicht mehr normal (ich hab ja schon hin und wieder welche...) also ließ ich bei meinem Arzt eine Blutuntersuchung machen. Als er zwei Tage später früh morgens anrief begann ich das Gespräch mit den Worten: "Wenn ich ein Apfel wäre, hätte ich mich heute weggeschmissen." Das Lachen verging mir ziemlich schnell nachdem er mir eröffnete er könne mich mit diesen Blutwerten nicht mehr zu Hause lassen, wenn ich mir zum Beispiel den Kopf anschlage könnte ich innerlich verbluten. Das hört sich ziemlich dramatisch an. Wie bedenklich die Blutwerte waren war mir zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich klar. Ich verstand die ganze Aufregung so wieso nicht ich fühlte mich prima ich hatte ja nur ganz viele üble blaue, eigentlich schon fast schwarze Flecken...


Mein Mann brachte mich jedenfalls an demselben Morgen noch in die Notaufnahme ins Krankenhaus in meiner Heimatstadt. Eine Schwester brachte mich in einem Vierbettzimmer unter. Wegen meines größeren Platzbedarfes (Rollstuhl) bat ich die Dame die am Fenster lag mit mir das Bett zu tauschen (dort war mehr Platz). Sie war einverstanden. Ich lies mein Gepäck im Zimmer stehen und ging mit meinen Eltern, die inzwischen eingetroffen waren in das Cafe. Als ich wieder zurückkamen, empfing mich ein Pfleger und fragte ob ich schon wisse dass ich verlegt worden sein (ein Arzt hat wohl inzwischen den Arztbrief gelesen und wusste um die Blutwerte). Ich hatte natürlich keine Ahnung. Mein Gepäck war in einem Zweibettzimmer indem ich alleine war. Der ernst der Lage war mir immer noch nicht bewusst. Im Nachhinein weiß ich, dass die Thrombozyten (für die Blutgerinnung zuständig) sehr sehr niedrig waren ebenso wie die anderen Blutwerte insbesondere die weißen Blutkörperchen (zur Infektions-Abwehr) - darum auch das "Einzelzimmer". In das Cafe zu gehen war da natürlich genau richtig (etwas Sarkasmus es sei mir gegönnt) - wenn mir aber auch keiner Verhaltensregeln gibt ...


Am nächsten Tag wurde ich zum ersten Mal Punktiert (Knochenmarkspunktion). Das war nicht so schlimm wie erzählt wurde, der Schmerz ist ungefähr so zu vergleichen wie wenn der Zahnarzt auf den Nerv trifft so ca. drei, vier Sekunden Schmerz. Dann bekam ich die Diagnose Leukämie AML Typ M2. AML das bedeutet akute myeloische Leukämie (auch Alters Leukämie genannt da es zu 80% Menschen über 60 trifft) deren es Typ 1 bis 7 gibt. Todesangst hatte ich irgendwie in keiner Sekunde...
Mit dieser Diagnose war es klar, dass ich nach Tübingen - in eine Hämatologische Spezialklinik - verlegt werden sollte. Es war leider kein Platz, so musste ich knapp eine Woche darauf warten. Dort angekommen begannen gleich die ganzen Untersuchungen. Sie sind dort echt auf Zack auf der Krebsstation - na ja tägliches Brot eben. Also folgten Blutuntersuchungen, Thorax (Brustkorb) röntgen, mit Sonographie wurden alle Organe vermessen und die Lungenfunktion (Lufu) wurde getestet sowie eine Knochenmarkspunktion. Man kann sich schließlich nicht auf das verlassen was ein anderes Krankenhaus feststellt (wie sich später herausstellte - zum Glück).
Hier gibt es nur Zweibettzimmer. Man steckte mich in eines, wo ich natürlich gar nicht zu Recht kam mit dem Rollstuhl - mit Toilette, Bad und so. Insgesamt gibt es dort zwei Behindertengerechte Zimmer die aber beide mit Männern belegt waren. Nach einer furchtbaren Nacht (sehr Personal intensiv) war es jedem klar, dass das für mich hier völlig unmöglich ist und so wurde ich am nächsten Tag in ein Behindertengerechten Zimmer verlegt (d.h. es wurde ziemlich umverlegt). An diesem Tag wurde ich gleich nach dem Standardprotokoll der Leukämie AML behandelt. Ich bekam in einer Mini- Operation einen zentralen Venen Katheter (ZVK). Ein Zugang mit mehreren Anschlüssen am Hals. Die Operation (örtliche Betäubung) war gar nicht schlimm. Dauerte ca. eine halbe Stunde.

Die erste Chemo...
Schon am nächsten Tag wollte der Stationsarzt mit mir und meinem Mann sprechen. Er äußerte den Verdacht dass ich nicht am Typ 2 leide sondern sehr wahrscheinlich an Typ 3. Welches ein Phänomenaler Vorteil ist da der Typ 3 am meisten erforscht ist und relativ ‚einfach' zu behandeln ist, mit den größten Chancen die Krebszellen auszumerzen und guter Prognose wegen Rückfall. Die Behandlung ist zwar wegen der Nebenwirkungen recht riskant (über Statistiken wollte ich nichts wissen aber irgend etwas war mit 30% die gleich sterben - ohne Gewehr). Die Aufklärungsschrift, vor der Einverständnis Erklärung war ziemlich furcht einflößend. Wenn aber diese Art der Leukämie unbehandelt innerhalb von 8 Wochen zum Tode führt, unterschreibt man alles… Egal wie gefährlich die Therapie ist.


Die Chemo wurde gleich umgestellt und ich bekam Vitamin A und andere flüssig Chemo. Ein weiterer Vorteil war der, da ich zunächst mit anderen Chemo behandelt wurde konnte ich nicht in die Studie aufgenommen werde. Das hätte bedeutet, dass ich jede Woche punktiert worden wäre - was bin ich darüber traurig ;o) .
So ging alles seinen Gang. Ich fand irgendwie an allem was Gutes (hoffnungsloser Optimist eben). Durch die Chemo (Zytostatische Behandlung) hoffte ich auf einen Vorteil wegen der MS - auf diese Idee brachte mich übrigens auch der Chefarzt. Ich hoffte einige Kilo abzunehmen, da die anderen Patienten ziemlich abgemagert aussahen. Wenn mir die Haare ausgingen und ich dann wieder neues bekam hoffte ich auf einen vollen Haarschopf. Ich war gut drauf.


Meinen ersten Dämpfer bekam ich nach 14 Tagen. Da entzündete sich mein ZVK und musste entfernt werden. Von jetzt an wurde mir die Chemo mit einem PVK (periverer Venen Katheter) durch den rechten Arm (mein schlechter) gejagt und auch das ganze Blut am anderen Arm entnommen (jeden Tag !!! - ich weiß erst jetzt welcher Segen der ZVK war).


Nachdem meine Haare anfingen auszugehen beschloss ich den Friseur anzurufen. Ich wollte nicht warten bis ich mich langsam auflöste sondern meinem Motto entsprechend - lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. So rasierte der Friseur mir die Haare auf ca. zwei Millimeter ab. Leider habe ich vergessen mir eine Strähne zum Zopf zu flechten, als Erinnerung weil die Haare waren ja schon ziemlich lang und ob ich diese Länge noch mal hinbekomme ist die Frage. Angeschaut habe ich mich auch nicht. Erst als mein Mann abends kam und wir Duschten (alleine kann ich nicht) schaute ich in den Spiegel verlor ein paar Tränen aus Prinzip weil sie waren ja schließlich ab, aber eigentlich gefiel ich mir. Wie Demi Moor in dem Film 'Akte Jane'... Vorsorglich hatte ich Besuchsverbot erteilt, ich wusste nicht wie lange ich brauche um mich daran zu gewöhnen. Das Besuchsverbot habe ich am nächsten Tag wieder aufgehoben.


Als einzige Nebenwirkung erwischte nicht ein Pilz im Mund (70 Prozent bekommen ihn) darum konnte ich die nächsten drei Wochen nur Suppen und Brei zu mir nehmen, kauen konnte ich nicht! Ich nahm viereinhalb Kilo ab, die ich allerdings beim nächsten Heimurlaub wieder zugenommen habe!
Nach insgesamt sechs Wochen hatte ich die erste Chemo erfolgreich hinter mich gebracht. Es sind keine Leukämie Zellen mehr nachweisbar und die Blutwerte sind wieder einigermaßen auf dem Damm, so dass ich nach Hause gehen durfte, für ca. anderthalb Wochen um mich zu erholen... Wenn ich mir das so überlege war ich ja die ganze Zeit über in guten sprich professionellen Händen. Nur mein Mann war mit sich alleine, ich machte mir etwas Sorgen denn um ihn kümmerte sich kaum jemand...
Das Behandlungsprotokoll sieht nach der ersten Chemo ( Inductionsphase) 3 weite Chemotherapien (Consolidierungphasen) vor - um die Krebszellen zu erwischen die sich verstecken und nicht nach zu weisen sind.


Die nächste Chemotherapie (2) dauerte nur eine Woche, gefolgt von insgesamt 15 Tage Vitamin A. Das hört sich doch richtig gesund an. Weit gefehlt - Vitamin A ist auch eine Chemo und die Einverständniserklärung der Gefahrenquellen und Nebenwirkungen liest sich weitaus schlimmer als die, die ich bisher unterschrieben habe. Vorteil ist, ich kann es zu Hause nehmen. Es folgt wieder eine Woche zum Erholen. War alles ganz unkompliziert.


Bei der nächsten Chemo (3) wurde die Flüssigchemo auf eine lichtempfindliche Chemo umgestellt, da diese nicht aufs Herz geht. Lustig war, dass zur selben Zeit meine Bettnachbarin die Selbe bekam. So saßen wir beide da, mit dunklen Brillen - das gab es so noch nie. Und alle die hereinkamen hatten den gleichen Spruch auf Lager: ‚Man in Black' - ha, ha, ha! Umgestellt wurde die Chemo da ich ja als MS Therapie schon einige geringe Dosen Mitotroxon bekommen habe und bin inzwischen schon bei dem Grenzwert der Mitotroxonmenge (durch die voran gegangenen Chemos) angelangt, bevor das Herz Schaden nehmen kann. Der Name der neuen Chemo ist ARC Arabinosid-Cytosin. Ab jetzt war nichts mehr unkompliziert (was meinen bisherigen Therapieverlauf anbelangt). Für die Tübinger war es weiterhin unauffällig. Ich bekam ja keine‚ernsthaften' Komplikationen (Lungenentzündung, Infektionen usw.). Nach ca. 14 Tage (ich war Zuhause) gingen die Blutwerte so rapiede in den Keller (Leukos 300 ab 4000 ist es normal) und über 39°C Fieber so dass ich in meiner Heimatstadt ins Krankenhaus musste.

Das war das reinste Desaster. Abgesehen davon dass die in diesem Krankenhaus von Leukemie recht wenig Ahnung haben sind Sie total unter besetzt, ganz anderes als in Tübingen...
Nach der vierten Chemo wiederholte sich die ganze Prozedur wie bei den zwei zuvor (schlechte Blutwert usw.) Da ich nun schon wusste was auf mich zukommt und vor allem auch zu welchem Zeitpunkt wirkt ich dem entgegen, in dem ich mir Neuprogen Spritzen ließ -welches hatte zur Folge hatte das meinen Blutwerte nicht so schlecht waren und ich kein Fieber bekam! Das war äußerst wichtig da ich wichtige Termine hatte. Ich mußte noch eine Hochzeitszeitung fertig gestalten und drucken. Wollte unbedingt auf diese Hochzeit da mein Mann und ich schließlich Trauzeugen waren... Dann war da noch eine kleine Reise, die ich mir unmöglich entgehen lassen wollte.


Als ich nach insgesamt 16 Wochen nach Hause kam, konnte ich nicht mehr alleine bleiben.
Ich war so schwach, dass ich manchmal kaum im Rollstuhl aufrecht sitzen bleiben konnte.
Mein Mann ging erst ins Geschäft, wenn meine Eltern da waren. Ich brachte wirklich nichts mehr zustande. Mein Vater musste mich sogar auf die Toilette hieven.

Das war mein erstes Ziel. Nach 6 Wochen konnte ich das wieder alleine. Nach insgesamt 2.5 Monaten war ich soweit, dass auch meine Mutter nicht mehr helfen musste. Ich hatte meinen Alltag und meinen Haushalt wieder im Griff


Nach zwei Monate Erholung startete ich die Erhaltungstherapie - ‚mini Chemo' (geht zwei Jahre). Diese beinhaltet jeden Tag Tabletten zu nehmen einmal die Woche eine Spritze zu bekommen (Metotrexat - bekommt man auch bei der MS wenn man das Mitotroxon nicht mehr nehmen kann). Einmal im Vierteljahr musste ich für 15 Tage das Vitamin A nehmen. Von der ganzen Sache spüre ich nicht viel es beeinträchtigt mich nicht und meine Blutwerte kräuchelten so um das Minimum herum.


Ich hatte echt Glück, dass die Leukämie bei mir so glimpflich abging - andere trifft es schlimmer...
Nach 2 Jahren war die Erhaltungstherapie vorbei. Seither wird das Blut alle 3 Monate kontrolliert. Es gab bisher keine Auffälligkeiten und wird auch zukünftig keine geben.

Meine MS gibt seither (war jetzt vor 5 Jahre) auch ruhe. Manchmal flammt ganz kurz ein ‚Symptönchen' auf, so nach dem Motto: "bloß weil es dir gerade gut geht, glaub ja nicht, dass ich weg bin, ich bin schon noch da - vergiss mich ja nicht"
Aber vielleicht hat die MS durch die Chemos ja wirklich ‚eine drauf gekriegt'. Mir jedenfalls geht es seit der Leukämie unverschämt gut.
Und so hat es ja vielleicht doch etwas Gutes gehabt…
Ich genieße es solange es anhält!

 

Nutze das Heute und vertraue so wenig als möglich dem Morgen!
Horaz